Sexuelle Bildung

Warum ist sexuelle Bildung auch ein Thema für den Religionsunterricht?

Sexualität ist nicht einfach gleichzusetzen mit Genitalität/Geschlechtlichkeit. Sie ist vielmehr „eine allgemeine Lebensenergie, die […] körperlich, geistig-seelisch, sozial wirksam ist“, die etwas mit „mit Identität“ und „Fruchtbarkeit“ zu tun hat und „eine Form des Kontakts in Beziehung zu anderen“. (vgl. Steinherr 2019: 23) Sexualität ist somit nicht von der Person abtrennbar oder ein Zusatz.

Interessant: Sexualität als Ausdruck von Liebe, so wie wir sie oft heute verstehen, ist ein Konstrukt, dass es erst seit 200 Jahren gibt. Die Verbindung von Sexualität und Macht ist viel älter.

Was steht im Schulgesetz?

In der BASS steht zum Thema sexuelle Bildung unter § 33 Sexualerziehung: "(1) [...] Ziel ist es, Schülerinnen und Schüler alters- und entwicklungsgemäß mit den biologischen, ethischen, sozialen und kulturellen Fragen der Sexualität vertraut zu machen und ihnen zu helfen, ihr Leben bewusst und in freier Entscheidung sowie in Verantwortung sich und anderen gegenüber zu gestalten. Sie [Sexualerziehung] soll junge Menschen unterstützen, in Fragen der Sexualität eigene Wertvorstellungen zu entwickeln und sie zu einem selbstbestimmten und selbstbewussten Umgang mit der eigenen Sexualität zu befähigen. [...]"

Was ist die Aufgabe sexueller Bildung?

Eine Aufgabe der sexuellen Bildung ist die Vermittlung, Erhellung und Entwicklung von Werten. Viele dieser Werte sind bei den Jugendlichen bereits angelegt. Wichtig ist vor allem, dass die Jugendlichen in der Reflexion und dem Leben dieser Werte bestärkt werden. (Vgl. Steinherr 2019: 23)

Ist sexuelle Bildung nur ein Thema für Klasse 9?

Das Thema Sexualität betrifft nicht nur ältere Schüler*innen.Da Kinder bereits im Kita-Alter mit Geschlechterrollen konfrontiert werden, können sich früh Fragen ergeben, z.B.: "Wieso darf ich kein Rosa tragen?" Sexuelle Bildung spielt auch im Erwachsenenleben weiter eine wichtige Rolle. Auch hier gilt das Motto vom "lebenslangen Lernen".

Warum ist sexuelle Bildung ein Thema im RU?

Sexualität ist - wie es auch schon in der BASS ersichtlich wird - mehr als nur Biologie. Rund um dieses Thema ergeben sich viele unterschiedliche Fragen: moralische, ethische … Versteht man Sexualität als nicht von der Person abtrennbar, dann wird deutlich, dass Sexualität auch ein Teil von Identität ist. Will der RU das Ganze des Menschen in den Blick nehmen, ist also auch die Sexualität ein wichtiges Thema.

Der RU kann durch seine Sprachsensibilität einen besonderen Schutzraum bieten. So wird möglich, auch über schwierige Fragen zu sprechen und jungen Menschen zu helfen, zu verstehen, wie ihre Entscheidungen in Bezug auf Sexualität mit ihren persönlichen Überzeugungen und religiösen Werten übereinstimmen.

Der Religionsunterricht kann dazu beitragen, über diese Perspektiven aufzuklären, während er gleichzeitig den Respekt vor der Vielfalt an Lebensentwürfen und sexuellen Identitäten fördert. Auf diese Weise kann er helfen, Toleranz und Offenheit im Umgang mit unterschiedlichen Auffassungen von Sexualität zu fördern, ohne dabei religiöse Überzeugungen zu vernachlässigen.

Auch in der Bibel finden sich Anhaltspunkte, die uns Menschen darin bestätigen, so gut und richtig geschaffen zu sein, wie wir sind.

„Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut.“ (Gen 1,31)

„Ich danke dir, dass ich so staunenswert gestaltet bin. Ich weiß es genau: wunderbar sind deine Werke.“ (Ps 139,15)

 

Sexuelle Bildung - Warum lohnt sich ein Blick in die Bibel?

Vielfalt und Widersprüche wahrnehmen

Wer glaubt, dass die Bibel klare und eindeutige Positionen zum Thema Sexualität bietet, der irrt. Weder im Alten noch im Neuen Testament findet eine theoretische Reflexion von Sexualität statt. Vielmehr finden sich an einzelnen Stellen mehr oder weniger ausführliche Beschreibungen menschlicher Sexualität und sexueller Gefühle. Gerade die gesetzlichen Vorschriften, die sich im Alten Testament finden, sind dabei äußerst widersprüchlich.

Kontexte beachten

Diesen Regelungen allgemeine Gültigkeit zuzuschreiben, ist deshalb nicht sinnvoll. So sagt Prof. Dr. Paganini in Bezug auf diese Regelungen: "Sie müssen stets in den zeitlichen und kulturellen Kontext eingeordnet werden." Es zeigen sich verschiedenste Moralvorstellungen aus verschiedenen Epochen und Völkern wieder. Einzelne Zitate ausgelöst aus dem Zusammenhang heranzuziehen, ist deshalb bei der Auseinandersetzung mit Sexualität im Religionsunterricht nicht sinnvoll. Vielmehr bietet sich ein multiperspektivischer Blick auf das Thema an. Auch die folgenden Ausführungen sind deshalb nicht als abgeschlossen zu verstehen. 

Sexualität ganzheitlich verstehen

Viele Bibelstellen weisen darauf hin, dass Geschlechtsverkehr in der Bibel ganzheitlich gesehen wird. "Es geht darum, dass man sich durch die körperliche Intimität als ganze Person näherkommt. Das hebräische Verb „jada“ und das griechische „ginosko“, die im Alten und Neuen Testament oft für Sex verwendet werden, bedeuten „kennen, kennenlernen, wahrnehmen“. Durch diese Art von Kennenlernen werden Mann und Frau auf eine ganz besondere Art und Weise miteinander vertraut."  ( Mehr dazu siehe: https://www.erf.de/lesen/glaubens-faq/die-bibel-und-die-sache-mit-dem-sex/33618-43)

Auch die erotische Dimension der Liebe und sexuelle Gefühle spielen eine Rolle. Besonders deutlich wird das im Hohelied Salomos: „Mit Küssen seines Mundes küsse er mich. Süßer als Wein ist deine Liebe." (Hohelied 1,2) Der Text macht deutlich, dass Sexualität mehr als nur Nachkommenschaft bedeutet: Leidenschaft und Erotik, aber auch Sehnsucht und Wertschätzung. Das Hohelied beschreibt - wie viele Bibelstellen -Sexualität als etwas Schönes und Gutes.

Verantwortung & Sexualität 

Jesus sagt über den Ehebruch: „Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen“ (Mt 5,28) 

Laut William Loader lässt sich aus diesem Text u.a. eine wichtige Schlussfolgerung ziehen: "Am sexuellen Begehren selbst ist nichts zu beanstanden. Männer haben die Verantwortung, ihr sexuelles Begehren zu kontrollieren. Frauen sind nicht dafür verantwortlich zu machen." https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/neues-testament/sexualitaet-nt

"Als Erweiterung seiner Auslegung des Verbots von Ehebruch bringt Jesus die überspitzte Aussage über das Ausreißen des rechten Auges und Abschneiden der rechten Hand im Falle, dass sie zu sexuellen Vergehen führen (Mt 5,29f). Damals sah man die rechte Seite als überlegen. Also wird hier auf dramatische Weise gefordert, dass man Verantwortung für die eigenen sexuellen Einstellungen und ihre Auswirkungen übernimmt. Man solle streng darauf achten, dass das eigene sexuelle Verhalten niemals andere schädigt."

Kirchliche Sexualmoral und biblische Texte 

"Die heutige kirchliche Sexualmoral geht aus Sicht des Autors [Simone Paganini] nur selten unmittelbar auf biblische Vorschriften zurück. ‘Noch viel weniger ist sie direkt von Gott gegeben.’ Viele der Normen gingen vielmehr auf antike Kirchenväter oder mittelalterliche Theologen wie Tertullian, Augustinus oder Thomas von Aquin und deren Bibelauslegung zurück." (aus: https://www.kirche-und-leben.de/artikel/sex-in-der-bibel-bibelwissenschaftler-lueftet-erotische-geheimnisse)

Ein Blick in die Bibel kann sich also beim Thema Sexuelle Bildung aus verschiedenen Gründen lohnen. Er kann zeigen...

  • ...dass Sexualität ganzheitlich zu verstehen und vielgestaltig ist und als gewollter Teil zum Menschen dazu gehört.
  • ...dass Sexualität mit Verantwortung verbunden ist.
  • ...dass Sexualität - im Gegensatz zu den häufigen Darstellungen christlicher Sexualmoral - kein eindeutiges Thema in der Bibel ist.

 

Quellen:

Dörnemann, Holger. Leimgruber, Stephan. Sexuelle Bildung aus christlicher Perspektive. Für Erziehung, Pädagogik und Gemeindepraxis. Paderborn 2022.

Gerber, Christine. Liebe ohne Sex, Sex ohne Liebe. Der Apostel Paulus gibt zu denken. In: Käbisch, David et. al.: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie (74.1). Berlin 2022. 17-28.