Solidarität

Solidarität – Alle reden darüber, aber was ist eigentlich gemeint?

Solidarität ≠ Nächstenliebe ≠ Barmherzigkeit

Bemerkst du auch manchmal, dass die Begriffe "Nächstenliebe", "Barmherzigkeit" und "Solidarität" fast identisch genutzt werden?

Es gibt dabei wesentliche Unterschiede…

Der Begriff der Nächstenliebe hat religiöse Wurzeln und ist eine grundlegende Haltung, keine einmalige Handlung.

Barmherzigkeit dagegen "ist […] persönlich, spontan und auf den Moment bezogen." Ein gutes Beispiel dafür ist das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,29-37). (aus: Moltmann, Jürgen: Über Geduld, Barmherzigkeit und Solidarität, Gütersloh 2018, S. 84.)

Solidarität aber…

… "ist demgegenüber Gemeinsinn und Gemeinschaftstreue und ist sozial, institutionell und nachhaltig. In einer Solidargemeinschaft gibt es öffentlich Teilnahme aller und Teilhabe am Gemeingut für jeden." (aus: Moltmann, Jürgen: Über Geduld, Barmherzigkeit und Solidarität, Gütersloh 2018, S. 84.)

Solidarität bedeutet also vor allem nachhaltig zu handeln, für eine Zukunft, die Menschen einschließt und teilhaben lässt. Sie beinhaltet drei Facetten.

Solidarität ist…

… Haltung, z. B. um Beispiel gegenüber wohnungslosen oder sich in Not befindenden Menschen.

… soziale Praxis, z. B. im Freundeskreis und in der Familie, aber auch im Ehrenamt oder durch politisches Engagement.

… institutionell. Das können z. B. Bildung (z. B. Sprachkurse für Geflüchtete) der Solidaritäts- oder der Sozialbeitrag an der Uni sein.

Die Krankenversicherung als ein Beispiel für ein solidarisches System

Die gesetzliche Krankenversicherung verkörpert institutionelle Solidarität: "zwischen Gesunden und Kranken, Armen und Reichen, Männern und Frauen, Jungen und Alten, Alleinstehenden und Verheirateten und Kinderlosen und mehr oder weniger Kinderreichen". (Mehr dazu: https://www.ekd.de/ekdtext_110_2.htm)

In diesem System zählt nicht das individuelle Risiko, sondern die Gemeinschaft. So dient die gesetzliche Krankenversicherung nicht nur der medizinischen Versorgung, sondern trägt dazu bei, soziale Ungleichheiten bei Gesundheitschancen zu verringern.

Teilen statt Besitzen: Eine Finanzkooperative

Hier geht’s um gelebte Solidarität: in einer Finanzkooperative werfen alle ihr Einkommen in einen Topf und teilen es - es gibt kein "Deins" oder "Meins".

Die Mitglieder einer Finanzkooperative teilen sich ein Konto und decken davon ihre Ausgaben ab. Größere Ausgaben werden im gemeinsamen Dialog entschieden. Es erfordert allerdings Vertrauen, Offenheit und den Mut, sich von individuellem Besitzdenken zu lösen.

Wusstest du schon…

… dass in Duisburg die Brücke der Solidarität steht?

Stahlarbeiter riegeln im Dezember 1987 die Brücke, die den links- und rechtsrheinischen Teil Duisburgs verbindet, ab. Außerdem blockieren sie die A40 und besetzen die Krupp-Zentrale auf der Villa Hügel in Essen. Auslöser ist die drohende Schließung des Krupp-Hüttenwerks in Duisburg-Rheinhausen.

Als Höhepunkt des Protests fertigen Auszubildende der Krupp-Werke im Januar 1988 ein Namensschild mit der Aufschrift "Brücke der Solidarität" an und bringen dieses an. Auch wenn der Protest die Stahlwerke nicht rettet, stellen Bund und Land zusätzliche Mittel für den Strukturwandel bereit und die Stadt Duisburg übernimmt den Namen "Brücke der Solidarität" später offiziell.

Zahlreiche Menschen schließen sich dem Protest an. Das "AufRuhr"-Festival mit Stars wie den Toten Hosen oder Herbert Grönemeyer wird organisiert. Flyer und Fotografien aus der Zeit, die die Stimmung einfangen, finden sich heute im Haus der Geschichte in Bonn.

Solidarität und Politik – Was Christsein mit den anstehenden Wahlen zu tun hat

Als Christ:innen sind wir berufen, ...

... solidarisch zu handeln – also füreinander einzustehen und das Wohl aller im Blick zu haben. Diese Haltung hört nicht bei unserem persönlichen Umfeld auf, sondern prägt auch, wie wir uns in der Gesellschaft engagieren.

Was bedeutet das für die Wahlen?

Solidarität & deine Wahl

Solidarität bedeutet, sich nicht nur um die eigenen Interessen zu kümmern, sondern auch die Perspektiven von Schwächeren oder Benachteiligten mitzudenken. Jesus fordert uns auf, auch die Fremden und Schwachen in unsere Mitte aufzunehmen. Das heißt, Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Religion mit Würde zu begegnen und denen beizustehen, die von rassistischer oder diskriminierender Politik betroffen sind. Daraus folgt, eine Stimme für diejenigen zu sein, die oft keine haben. Mit deiner Wahl kannst du zeigen, dass dir das Wohl anderer am Herzen liegt und du für eine gerechte und menschliche Gesellschaft eintreten willst. Deine Wahl hat Konsequenzen – auch für diejenigen, die keine Stimme haben, wie Geflüchtete, Kinder oder zukünftige Generationen.

Solidarität als Grundpfeiler unserer Gesellschaft

Solidarität ist eng verbunden mit unserer Demokratie und dem Sozialstaat:

Demokratie erfordert den Respekt gegenüber unterschiedlichen Meinungen und Interessen und gemeinsame Entscheidungen im Sinne des Allgemeinwohls.

Soziale Sicherungssysteme sind Ausdruck von Solidarität: Ob Krankenversicherung, Renten oder Arbeitslosenhilfe - das Prinzip der Umverteilung dient der Schaffung von sozialer Gerechtigkeit.

Solidarität ist fundamental, wenn es um die Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen (z. B. Krisen, soziale Ungleichheit) geht und schützt die Schwächeren in unserer Gesellschaft.

Solidarität, Migration & Asyl

"Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen." (Mt 25,35) – Mit diesen Worten erinnert Jesus uns an die Bedeutung von Mitgefühl und Solidarität mit Menschen in Not.

Was bedeutet das für die Asyl- und Migrationspolitik?

Solidarität über Grenzen hinaus: Christliche Solidarität endet nicht an Landesgrenzen. Sie bedeutet, Menschen in Not Schutz und Würde zu bieten – unabhängig von Herkunft oder Religion.

Schutz für die Schwächsten: Geflüchtete sind oft vor Krieg, Verfolgung und Armut geflohen. Solidarität heißt, ihnen eine Stimme zu geben, wo sie oft nicht gehört werden.

Solidarität & Klimagerechtigkeit

Verantwortung für zukünftige Generationen: Solidarität bedeutet auch, den Planeten zu schützen und die Lebensgrundlagen für Kinder und Enkelkinder zu bewahren.

Menschen im globalen Süden leiden oft am stärksten unter den Folgen des Klimawandels, obwohl sie am wenigsten dazu beigetragen haben. Als Christ:innen ist es unsere Aufgabe uns solidarisch mit Menschen auf der ganzen Welt zu zeigen.

Der Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung erinnert uns daran, achtsam mit den Ressourcen der Erde umzugehen.

Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar

Die AfD steht für Positionen, die mit christlichen Grundwerten wie Nächstenliebe, Gerechtigkeit und dem Schutz der Schwachen nicht vereinbar sind. Auch andere Parteien warten mit Positionen und Vorschlägen auf, die sich gegen diese Werte richten. Als Christ:innen sind wir herausgefordert, deutlich Stellung zu beziehen – für ein Miteinander, das auf Respekt und Solidarität aufbaut.

"Die Konzentration auf das kulturell homogen gedachte eigene Volk geht notwendig einher mit einer Verengung des Solidaritätsprinzips, das in der katholischen Soziallehre zentrale Bedeutung hat und eine Leitidee der deutschen Verfassung darstellt. Rechtsextreme verlangen nach einem „Sozialpatriotismus“, womit sie die Solidarität innerhalb des völkisch-national verstandenen Volkes meinen. Wer diesem nicht angehört, soll weniger Rechte und weniger soziale Teilhabe genießen, auch wenn er in Deutschland lebt und arbeitet. Damit wird die Axt an die Wurzeln der Demokratie gelegt, die vom Gedanken der gleichen Rechte aller bestimmt ist. Allen, die nicht der eigenen Gemeinschaft zugehören, wird Solidarität verweigert. Die Sicht der Kirche ist eine andere: Politisch, religiös oder rassistisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge müssen in unserem Land auch weiterhin Aufnahme finden. Und: Der Begriff des Gemeinwohls hat für die Kirche stets einen universalen Horizont. Daher treten wir für multilaterale Zusammenarbeit und Solidarität ein – auf Ebene der Europäischen Union ebenso wie weltweit." (aus: Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar - Erklärung der deutschen Bischöfe vom 22.02.2024.)

"Wir sagen mit aller Klarheit: Völkischer Nationalismus ist mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar. Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, können für Christinnen und Christen daher kein Ort hrer politischen Betätigung sein und sind auch nicht wählbar." (aus: Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar - Erklärung der deutschen Bischöfe vom 22.02.2024.)

Deine Stimme ...

Wählen ist ein Akt der Solidarität – mit denen, die keine Stimme haben, und mit der ganzen Gesellschaft.

Gemeinsam können wir eine gerechtere, menschlichere Welt gestalten!

Biblische Stimmen zur Solidarität – Gottes Gebot in menschlicher Praxis

Solidarität - mehr als nur 'helfen'?

Ein bekanntes Beispiel für Barmherzigkeit in der Bibel ist die Geschichte des Barmherzigen Samariters, in der ein Samariter einem Mann am Wegesrand hilft, während andere vorbeigehen.

Doch was bedeutet eigentlich gelebte Solidarität? Worum geht es? Ein Blick in die Bibel zeigt, wie vielschichtig dieser Begriff zu verstehen ist.

In Gemeinschaft Sorgen und Freude teilen

Apostelgeschichte 2,43-47: In der Apostelgeschichte wird beschrieben, wie die frühe christliche Gemeinde in Jerusalem lebte: Die Gläubigen waren vereint, teilten alles miteinander, unterstützten sich gegenseitig und lobten Gott.

"Sie verkauften Hab und Gut und teilten davon allen zu, jedem so viel, wie er nötig hatte. Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Lauterkeit des Herzens."

Hier werden zwei Aspekte benannt:

  • Solidarität umfasst wirtschaftliche Aspekte, in dem Falle das Teilen von Hab und Gut.
  • Solidarität hat zudem eine soziale Funktion, da in der Gemeinschaft gelebt und geteilt wird.

Diese Bibelstelle zeigt: Eigentum verpflichtet. Wer mehr hat, sollte diejenigen unterstützen, die wirtschaftlich oder sozial benachteiligt sind.

Solidarität - eine Aufforderung zur Handlung

1. Johannes 3,17-18: "Wenn jemand die Güter dieser Welt hat und sein Herz vor dem Bruder verschließt, den er in Not sieht, wie kann die Liebe Gottes in ihm bleiben? Meine Kinder, wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit."

Solidarität geht über das Reden hinaus und stellt das aktive Handeln in den Mittelpunkt. Auf das Handeln kommt es an.

"Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." (Mt 25,40)

Jesus erfährt selber Solidarität in jedem Menschen, dem Zuwendung zuteil wird.

Experiment: Sich einfach mal die Frage stellen, was ist, wenn mein Gegenüber Jesus ist? Ändert sich etwas für mich?

… denn es könnte Jesus sein!

Jeden respektieren und achten

Philipper 2,3-4: "Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen."

An dieser Stelle zeigt sich, dass Solidarität auch alle anderen (egal wen!) zu respektieren bedeutet.

Ganz zentral ist die Menschenwürde: jeder Person soll sie auf gleiche Weise zuteilwerden.

Für Paulus bedeutet Solidarität, sich mit anderen verbunden zu fühlen und ihre Lasten mitzutragen. In der Gemeinschaft füreinander da zu sein und sich gegenseitig zu stärken ist seine zentrale Forderung. Dabei sollte sich ein jeder dennoch nicht selbst aus dem Blick verlieren.

Solidarität sprengt Grenzen … kennt sie erst gar nicht!

Lukas 10,25-37 (Barmherziger Samariter): Der Priester und der Levit gehen vorbei, während der Samariter stehen bleibt und hilft.

Die maßgebende Unterscheidung in dieser Bibelstelle ist nicht die Herkunft oder Identität, sondern 'hilft' und 'hilft nicht'.

Der Samariter überschreitet seine kulturellen und geschichtlichen Schranken. Er hilft dem Mann.

Damit handelt er nicht innerhalb der eigenen Gemeinschaft, denn seine Tat dient dem Gemeinwohl und kann somit als Solidarität verstanden werden.

Solidarität kennt demnach keine Grenzen zwischen den Menschen.

Solidarität ist anstrengend und bedarf Mut, …

… aber wenigstens ist man nicht allein!

Exodus 3-4: In Ex 3 begegnet Mose Gott im brennenden Dornbusch, wo Gott ihm den Auftrag gibt, die Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei zu führen. Mose fällt es nicht leicht diesen Auftrag anzunehmen, da er sich unsicher und der Aufgabe nicht gewachsen fühlt.

Gott weiß, dass Mose sich mit dem Sprechen unsicher fühlt und stellt ihm Aaron an die Seite.

"Ist nicht dein Bruder Aaron, der Levit, dein Sprecher? Ich weiß, dass er gut reden kann. Und siehe, er wird herauskommen, dir entgegen, und wenn er dich sieht, wird er sich von Herzen freuen."

Es ist nicht an Mose alleine, die große Aufgabe zu meistern. Gott stellt ihm jemanden an die Seite, der genau das übernehmen kann, was Mose nicht so gut liegt: das Sprechen.

Jede:r nutzt im solidarischen Handeln das, was ihm:ihr gut liegt. Jede:r trägt das bei, was er:sie gut kann. Man könnte sagen, es liegt den Menschen im Blut.

Im Team handeln Mose und Aaron solidarisch und führen die Israeliten aus Ägypten.

Auch in Galater 6,2 heißt es "Einer trage des anderen Last; so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.".

Solidarität in der Bibel - eine Moralkeule?

Solidarität wird in der Bibel als Ausdruck der Liebe von Gott zu den Menschen und auch unter den Menschen dargestellt.

Gott sagt 'ich bin, der ich bin da' und gehe den Weg, den ihr mitgehen könnt. Seine Botschaft ist ein Heilsangebot. Dieses (liebevolle) Angebot ist keine Pflichtaufgabe, vielmehr eine Möglichkeit die Liebe Gottes (zu den Menschen) in Taten und Worten sichtbar zu machen.

Es kann als eine Einladung von Gott an den Menschen verstanden werden, die Welt ein bisschen liebevoller zu machen.

 

 

Quellen:

Kirchenamt der EKD: Das Prinzip der Solidarität steht auf dem Spiel (2010), URL: https://www.ekd.de/ekdtext_110_2.htm.

Moltmann, Jürgen: Über Geduld, Barmherzigkeit und Solidarität, Gütersloh 2018.

Rebmann, Michael: Finanzkooperative. Die Geld-Revolution aus der WG-Küche, URL: https://goodnews-for-you.de/finanzkooperative-die-geld-revolution-aus-der-wg-kueche/.

Stiftung Orte der Deutschen Demokratiegeschichte: Brücke der Solidarität, URL: https://www.demokratie-geschichte.de/karte/6560.

Gilles, Beate (Hrsg.): Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar. Erklärung der deutschen Bischöfe (2024).