Viele Schüler:innen haben immer weniger Erfahrungen mit religiöser Praxis. Dazu begegnet ihnen zunehmend religiöse Vielfalt.
Im Religionsunterricht sollen interreligiöse Module dazu beitragen, die Weltreligionen kennenzulernen. Dazu wird zum Islam zum Beispiel etwas über die verschiedenen Glaubensrichtungen, 99 Namen von Allah, Muhammad, den Koran, die fünf Säulen des Islams, die Gebetspraxis, den Ramadan oder die Hadsch gelernt.
Aber wie kann es gehen, dass der Einbezug anderer Religionen nicht reine Sachkunde wird - frei nach dem Motto "Folgende Stichpunkte kann ich zu dieser Religion benennen"? Wie kann ich andere Religionen nicht nur im learning about religion aus der Außensicht erschließen? Wie ist eine ganzheitliche Erfahrung anderer Religionen möglich?
Performatives Lernen
Religion ist mehr als Glaubenswissen. Um Religionen verstehen können, ist neben dem Wissen über eine Religion vor allem die gelebte Form wichtig. Religionen sind soziale und gemeinschaftliche Praxis.
Der Ansatz des performativen Lernens nimmt dieses Verständnis ernst und bietet handlungsorientierte Auseinandersetzung mit den Vollzügen der Religionen an. Performatives Lernen kann mit allen Sinnen geschehen
Die Lehrkraft kann die Schüler:innen dazu einladen, bestimmte Formen nachzuvollziehen. Dabei geht es um ein Nachspüren, nicht um eine rein spielerische Handlung. Wichtig ist, dass den Schüler:innen eine freie Wahl gelassen wird, ob sie die Erfahrung machen wollen oder nicht.
Dabei ist performatives Lernen nicht als Allheilmittel zu verstehen, vielmehr als Ergänzung zu anderen Dimensionen religiösen Lernens.
Damit ist performatives Lernen ein Weg produktiv mit dem Erfahrungsverlust der Schüler:innen umzugehen und das Verstehen von Religionen als Praxis zu ermöglichen.
Performativ interreligiös Lernen!?
Darf man Feste anderer Religionen also einfach im Klassenzimmer nachfeiern? Darf man zum Beispiel eine Haddsch auf dem Schulhof durchführen?
Ein Beispiel: Die Haddsch
Die Haddsch ist ein zentrales Ereignis im Glaubensleben von Muslim:innen.
Das Pilgern verrbindet alle drei abrahamischen Religionen. Die Haddsch bietet sich also scheinbar bestens dafür an, performativ zu lernen.
Aber: Eine Haddsch ist ein klar definiertes Ritual mit initiatorischer Wirkung und gebunden an einen heilsgeschichtlichen Erinnerungsort. Ein Vollzug ist damit gar nicht möglich.
"Es existieren theologische und traditionsgeschichtlich begründete Grenzen zwischen den Religionen, die es in den Lernprozessen zu achten gilt. So gibt es religiöse Ausdrucks- und Vollzugsformen, die mit besonderer religiöser Exklusivität, Intimität und Intensität verbunden sind." (Fingerhut, Dorothee: Zwischenruf: Feste feiern? In: Abdel-Rahman, Annett u.a.: Religiöse Feste feiern. Impulse aus Judentum, Christentum und Islam für eine inklusive Schulkultur. V&R 2023.)
"Die Pilgerfahrt bzw. die Umra soll daran erinnern, dass sich der Mensch auf dieser Welt auf einer Reise befindet. Das Leben auf der Erde ist nur eine Station, danach geht es weiter. [...] Die Pilgerfahrt, wie ich sie verstanden habe, entführt den Menschen an einen anderen Ort, damit er alles hinter sich lassen und mit Abstand sein Leben Revue passieren lasen kann, um so neue Vorsätze für den neuen Lebensabschnitt zu fassen, aber auch, um sich selbst, seine Gedanken, sein Inneres, seinen Charakter, seinen gesamten Lebensentwurf zu reflektieren und zu überdenken." (Khorchide, Mouhanad: Sieben verlorene Perlen. Rayyans Reise zu den Schätzen des Islam. Bonifatius 2023.
Ein "Nachspielen" der Haddsch auf dem Schulhof erfasst damit nicht den Kern des Festes. Es werden Grenzen überschritten, da die Haddsch eine stark inkarnierte Bedeutung hat. Die gesamte Pilgerfahrt oder ein gesamtes Fest eignet sich nicht für das performative Lernen.
Alternativ kann das Pilgern als Zu-Sich-Kommen und Weg zu Gott erfahren in den Blick genommen werden. Gemeinsam kann ein Weg gegangen und das Zu-Sich-Kommen erfahren werden.
Möglich ist es auch, Videos zur Haddsch zu schauen oder mit einer Haddscha oder einem Haddschi über die gemachten Erfahrungen zu sprechen. Wichtig ist dabei diese Begegnungen nicht rein wissensorientiert zu gestalten, sondern affektiv und refelix auszuwerten.
Performatives Lernen in interreligiösen Modulen
"Es geht eben nicht darum, originale Erfahrungen zu kopieren, sondern in den verschiedenen Stufen der Teilhabe Schülerinnen und Schülern originäre Erfahrungen zu ermöglichen, bei denen sie eingeladen sind, nach innen auf den Glauben der Andersglaubenden zu schauen, ohne aber so zu tun als seien sie selbst Andersgläubige." (Fingerhut, Dorothee: Zwischenruf: Feste feiern? In: Abdel-Rahman, Annett u.a.: Religiöse Feste feiern. Impulse aus Judentum, Christentum und Islam für eine inklusive Schulkultur. V&R 2023.)
Das performative Lernen reicht von der Begegnung in Videoclips, über die Begegnung mit Zeug:innen des Glaubens, teilnehemder Beobachtung an Festvollzügen bis hin zum Nachspüren von ausgewählten Festelementen.