von Ute Lonny-Platzbecker
Sakramentalität – Problemanzeige zu einem zentralen Wesensmerkmal der katholischen Kirche
In den sieben Sakramenten der katholischen Kirche entfaltet sich ihr bereits im II. Vatikanischen Konzil bezeichnetes „sakramentales Wesen“ [1], nach Karl-Heinz Menke „steht und fällt der Katholizismus“ [2] gar mit seiner Sakramentalität. Unter dieser Prämisse gehört Sakramententheologie zweifellos in den katholischen Religionsunterricht. Im Kernlehrplan für das Fach Katholische Religionslehre finden sich daher in allen Jahrgangsstufen entsprechende Kompetenzerwartungen,[3] insbesondere auf der Ebene der Handlungskompetenz die Befähigung „zur Mitgestaltung kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens“ sowie „die Fähigkeit, Sprach- und Ausdrucksformen des Glaubens zu gestalten und ihren Gebrauch zu reflektieren“.[4]
Dem gegenüber zeichnen Statistiken ein deutlich anderes Bild vom Stellenwert der Sakramente in der Glaubenspraxis katholischer Christen in Deutschland. Unter 10 % der Katholiken in Deutschland besuchen 2019 Gottesdienste zur Mitfeier der Eucharistie, auch in Bezug auf den Empfang aller anderen Sakramente ist ein Rückgang zu verzeichnen.[5] Dieses Phänomen wird vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, zu Recht als deutliches Zeichen für die Erosion der persönlichen Kirchenbindung gedeutet,[6] zeigt aber darüber hinaus auch den Relevanzverlust der Sakramente für die persönliche Lebensgestaltung der Katholiken in Deutschland in einer zunehmend säkularisierten und pluralen Gesellschaft.
Diese Diskrepanz zwischen der zentralen Wichtigkeit der Sakramente im Selbstverständnis der katholischen Kirche auf der einen Seite und deren statistisch erkennbarem Relevanzverlust im persönlichen Glaubensvollzug auch von Schüler*innen auf der anderen Seite gilt es zu berücksichtigen, wenn hier Chancen und Grenzen der Sakramententheologie im katholischen Religionsunterricht thematisiert werden sollen. Dazu soll zunächst nach dem Verständnis und der Bedeutung von Sakramenten gefragt werden, um dann deren Anschlussfähigkeit und Relevanz in Bezug auf die Lebenswirklichkeit der Schüler*innen zu bestimmen. Dieser Beitrag fokussiert sich dabei auf mögliche Zugänge zum Thema Sakramente, ohne die auch in diesem Zusammenhang wirksame tiefgreifende Krise der katholischen Kirche in Deutschland allgemein in den Blick zu nehmen. Schließlich sollen einige religionsdidaktische Impulse anzeigen, wie Sakramente sach- und adressatengerecht im Religionsunterricht, der ja im Unterschied zur Gemeindepastoral keine Sakramentenkatechese zur Vorbereitung etwa auf den Empfang des Sakraments der Eucharistie oder Firmung betreibt, zum Thema werden können.
Sakramente – wirksame Zeichen des (anbrechenden) Heils in einer unheilen Welt?
Wenn Sakramente „Heilszeichen“, d.h. sichtbare und wirksame Zeichen der verborgenen Heilswirklichkeit der Liebe Gottes sind,[7] sollte in einer nicht nur aufgrund der aktuellen geopolitischen Ereignisse als unheil erfahrenen Welt die Sehnsucht nach ihnen groß sein. Welche Hürden stehen dem entgegen?
So versteht Thomas Ruster Sakramente als „Sinnerfüllung menschlicher Grundsituationen und als Symbole der Hoffnung“[8] und betont damit die anthropologisch sinnstiftende Bedeutung von Sakramenten etwa in der eigenen Lebensbiografie. Dieses Verständnis bietet durchaus Anknüpfungspunkte an die Lebenswelt der Schüler*innen [9], jedoch ist die Frage zu klären, inwiefern die im Symbol angezeigte Bedeutung nicht (nur) eine rein anthropologische Setzung ist – wie etwa ein selbst gestaltetes Freundschaftsarmband die Verbindung zweier Menschen symbolisiert – sondern ihrem Wesen nach auf eine transzendente Wirklichkeit hingeordnet, wie etwa das Sakrament der Ehe. Denn schon nach Augustinus besteht ja gerade darin das Wesen des Sakraments als visibile signum invisibilis gratiae – sichtbarem Zeichen einer unsichtbaren Gnade - , dass in der Verbindung des im Vollzug gesprochenen Wortes mit der sichtbaren Materie dieser Ritus zum Sakrament und damit zum wirksamen Zeichen einer transzendenten Wirklichkeit wird.[10] In diesem Sinne berühren sich im Sakrament „Himmel und Erde“.[11]
Heute – und das gilt auch für die Schüler*innen – kollidiert dieses Sakramentenverständnis jedoch mit dem materialistisch-naturwissenschaftlich geprägten Wirklichkeitsverständnis einer sich säkularisierenden Welt. Kinder und Jugendliche neigen überwiegend zu einer deistischen Gottesvorstellung [12] – eine sakramental vermittelte Präsenz Gottes ist diesem Wirklichkeitsverständnis schwer vermittelbar. Aber auch die Vorstellung einer magischen Wirkung des Sakraments, das seinen Empfänger gleichsam mit Superkräften ausstattet und die menschliche Wirklichkeit der göttlichen gleich macht, kann schon allein deshalb nicht überzeugen, weil die menschliche Wirklichkeit eben nicht heil ist, wie gegenwärtig eindrücklich die Krisen des Klimawandels, der Pandemie und des Krieges belegen.[13] Wie aber kann ein magisches, mit einem „Hokuspokus“ die Welt veränderndes Miss-Verständnis der Sakramente vermieden werden, ohne zugleich deren die menschliche Wirklichkeit wandelnde Kraft und damit die Offenheit der menschlichen Wirklichkeit für Gottes Heil stiftendes Wirken im Sakrament [14] völlig aufzugeben?
Versteht man – mit Oliver Reis – Sakramente in ihrer konnotativ-sozialen Dimension, so öffnet sich eine Perspektive für die eschatologisch anbrechende Präsenz der Wirklichkeit Gottes im Sakrament in dem Sinne, dass in diesem „eine Wirklichkeit anbricht, die wir außerhalb der bezeichnenden Liturgie für andere wachsen lassen“[15]. In einem solchen Verständnis wird das Sakrament zum subjektiv, aber auch sozial in der Gemeinschaft der die Liturgie feiernden Glaubenden erfahrbaren Ort der Gegenwart Gottes, die zu einer die Gesellschaft hin zu einer göttlichen Wirklichkeit verändernden Praxis ermächtigt. Die Differenz zwischen der im Sakrament bezeichneten göttlichen Wirklichkeit, die im eigenen, durch das Sakrament bestärkten Handeln anfanghaft realisiert wird, und der menschlichen, eben nicht heilen Wirklichkeit bleibt dabei bestehen. So wird einerseits ein Durchdringen der menschlichen Realität von dieser göttlichen Präsenz denk- und erfahrbar, andererseits bewahrt der eschatologische Vorbehalt, unter dem diese steht, vor einem magischen Sakramentenverständnis ebenso wie sie von dem totalitären Anspruch, die Welt aus eigenem Handeln heil machen zu können und zu müssen, entlastet.[16]
Sakramentales Lernen im Religionsunterricht mit heterogenen Lerngruppen initiieren
Der Religionsunterricht will religiöse Kompetenz fördern und kann dabei an der Sakramententheologie nicht vorbei, er steht aber vor der Herausforderung, sakramentales Lernen in einer auch in Bezug auf die eigene Religiosität heterogenen Lerngruppe zu ermöglichen, ohne den praktischen Vollzug und die Mitfeier der Sakramente voraussetzen zu können. Bei der Erarbeitung von Form und Bedeutung von Sakramenten gilt es daher in besonderer Weise, über die kognitive Dimension hinaus auch affektive, produktive und handlungsorientierte Lernwege zu beschreiten. Besondere Relevanz können in diesem Zusammenhang performativen Unterrichtssettings und dem ästhetischen Lernen zukommen, die in besonderer Weise geeignet sind, verschiedene Lernkanäle anzusprechen und „Unsagbares“ wie etwa die transzendente Wirklichkeit zur Sprache zu bringen. Anknüpfen kann der Unterricht dabei u.a. an die Erfahrung der Kinder und Jugendlichen mit erlebter Gemeinschaft bei einem Festmahl, mit der wohltuenden Stärkung durch eine Wegzehrung auf einer langen Wanderung sowie mit ihnen je persönlich symbolisch wertvollen Gegenständen, die ihnen aufgrund einer subjektiv zugeschriebenen Bedeutung „heilig“ sind.
Praktische Impulse für den Unterricht
Exemplarisch sollen abschließend entsprechende praktische Impulse für den Unterricht in Bezug auf das Sakrament der Eucharistie gegeben werden:
Um den Ablauf der Eucharistiefeier zu erarbeiten, bieten sich in der Erprobungsstufe verschiedene Zugänge an, die die Kompetenz zur religiösen Teilhabe fördern. Denkbar wäre es, den Ablauf anhand eines kurzen Videos (Beispiel zu finden durch das Einscannen des QR-Codes) kennenzulernen und mit Hilfe eines passenden Textpuzzles zu sichern. Diese überwiegend kognitive Zugehensweise kann ergänzt oder alternativ ersetzt werden durch den Besuch eines Kirchengebäudes, in dem in einem Expertengespräch z.B. mit dem Pfarrer Ablauf und Bedeutung der Eucharistiefeier thematisiert werden. Hier wird ein performativer und damit ganzheitlicherer Zugang ermöglicht durch die Wirkung des besonderen Raumes und indem exemplarisch Elemente der Eucharistiefeier erfahrbar werden, z.B. durch Betrachten der besonderen Gefäße und des festlich geschmückten Altars, durch Einnehmen verschiedener Körperhaltungen wie Stehen und Knien und Reflexion über deren Wirkung und Bedeutung, indem Weihrauch und Messdienerklingeln weitere Sinne ansprechen. Auf diese Weise wird für die Lernenden unmittelbar erlebbar, dass Sakramente auf vielfältige Weise schon in ihrem Ritus dem Alltag enthoben sind, was eine Reflexion über die in der materiell sichtbaren Wirklichkeit ausgesprochene Bedeutung in Bezug zu einer transzendenten, göttlichen Wirklichkeit anbahnt. Wesentlich sind bei solchen performativen Unterrichtsarrangements freilich deren reflexive Rahmung sowie die Freiwilligkeit des Mitvollzugs mit entsprechenden Ausstiegs- oder Alternativangeboten.[17] Als Anforderungssituation, um die konfessionell unterschiedliche Bedeutung von Eucharistie und Abendmahl zu erheben, könnte die Planung eines ökumenischen Schulgottesdienstes gemeinsam mit der Lerngruppe einer Mittelstufe ins Auge gefasst werden.
Auch ästhetisches Lernen kann die Sakramententheologie im Religionsunterricht unterstützen, zumal diese ebenso wie das performative Unterrichtsarrangement die eigene Positionierung gegenüber einer auf verschiedenen Ebenen erarbeiteten Bedeutung des Sakraments herausfordert. Das Abendmahlbild von Sieger Köder[18] zeigt eine durch Diversität und teilweise Verletzlichkeit gekennzeichnete Gemeinschaft am eucharistischen Mahl, dessen Tisch zum Betrachter einladend offensteht. Wird etwa im RU der Erprobungs- oder Mittelstufe dieses Bild erarbeitet, kann durch entsprechende Impulse die konnotativ-soziale Dimension der Eucharistie verdeutlicht und beim Besuch einer caritativen Einrichtung oder im Umsetzen eines sozialen Projekts mit der Lerngruppe auch handlungsorientiert erfahrbar werden.
Eher für die Oberstufe eignet sich eine Auseinandersetzung mit der Kunstinstallation „Ultima Cena“ von Julia Krahn, in der die Entfremdung des Altarraums durch das Kunstwerk die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der Eucharistie lenkt und durch die vom Altar aus dem Bild auf den Betrachter – gleichsam in die Welt – führenden menschlichen Fußspuren in Mehl eine Vergegenwärtigung des Geschehens beim Abendmahl evozieren.[19] Das Kunstwerk schafft auf diese Weise einen Zusammenhang zwischen der transzendenten Wirklichkeit der Auferstehung Jesu über die Feier des Sakraments am Altar hin zu den Spuren Jesu, d.h. der göttlichen Liebe, von diesem sakramentalen Ereignis aus in die Welt. Oberstufenschüler*innen können hier individuell gleichsam in verschiedene Richtung auf Spurensuche gehen.
Eine an die Lebenswelt der Schüler*innen und ihre menschlichen Grunderfahrungen anknüpfende, ganzheitliche und handlungsorientierte Erarbeitung der Sakramententheologie, wie sie hier mit wenigen Impulsen exemplarisch für die Thematisierung des Sakraments der Eucharistie skizziert wurde, lässt sich ähnlich auch auf die anderen Sakramente übertragen. Immer geht es dabei darum, die Verknüpfung von göttlicher und menschlicher Wirklichkeit im Sakrament zu verdeutlichen, daraus einen entsprechenden, die Welt im christlichen Sinne verändernden Handlungsimpuls abzuleiten und dazu eine persönliche Haltung einzunehmen.
Gehört das in die Schule? Unbedingt, denn auf diese Weise kann und muss der Religionsunterricht einen wertvollen Beitrag zur Sakramententheologie leisten, indem er den Schüler*innen in einer zunehmend säkularisierten Welt eine über das naturwissenschaftliche Denken hinausgehende Wirklichkeitsdimension erschließt und sie zur Teilhabe an religiöser Praxis befähigt.
Übersicht Kompetenzerwartungen zum Thema Sakramententheologie aus dem KLP Sek. I/II für Katholische Religionslehre am Gymnasium, NRW
Zur Autorin:
Ute Lonny-Platzbecker ist als Lehrerin am Nikolaus-Ehlen-Gymnasium in Velbert mit den Fächern Katholische Religionslehre, Biologie und Deutsch tätig. Darüberhinaus leitet sie das Fachseminar Katholische Religion am ZfsL Essen und bildet übergangsweise auch die Referendar*innen am ZfsL in Oberhausen aus.